Zur fristlosen Kündigung wegen grober Beleidigung des Vorgesetzten

ArbG Mönchengladbach, Urteil vom 15.02.2012 – 6 Ca 3526/11

Die Bezeichnung des Vorgesetzten als „Du Arschloch“ ist an sich geeignet, auch ein seit 37 Jahren bestehendes Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen.(Rn.24)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28.11.2011 und 30.11.2011 aufgelöst worden ist bzw. werden wird.

Die Beklagte wird verurteilt den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Hilfsarbeiter weiter zu beschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Der Streitwert wird auf 13.015,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen.

2 Der Kläger arbeitete bei der Beklagten seit 1974 laut Arbeitsvertrag als Hilfsarbeiter, unter anderem als Papierschneider. Der Kläger ist Jahrgang 1953 und verdiente zuletzt ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.603,00 € brutto. Der Kläger war Mitglied des Wahlvorstandes zur Wahl eines Betriebsrates. Diesbezüglich fand eine Betriebsversammlung am 01.07.2011 statt, in welcher der Kläger als ordentliches Mitglied für den Wahlvorstand bestellt wurde. Nach entsprechender Nachfristsetzung entschied der Wahlvorstand am 8. September 2011, dass eine Betriebsratswahl nicht durchgeführt werden könne, da keine gültige Vorschlagsliste vorliege.

3 Am 25. November 2011 kam es zu einem Streitgespräch zwischen dem Kläger und seinem unmittelbaren Vorgesetzten Herrn C.. Im Laufe des Gespräches bezeichnete der Kläger seinen Vorgesetzen mindestens einmal als „Du Arschloch“.

4 Der Kläger entschuldigte sich bei seinem Vorgesetzten auch in der Folgezeit nicht dafür.

5 Mit Schreiben vom 28. November sowie 30. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos, mit letztem Schreiben auch hilfsweise fristgerecht.

6 Mit Klage vom 15. Dezember, beim Arbeitsgericht am nächsten Tage eingegangen und der Beklagten am 21. Dezember 2011 zugestellt, behauptet der Kläger, dass der Vorgesetzte C. ihn aufgefordert habe, am folgenden Samstag zu arbeiten. Diesen Termin habe der Kläger aber nicht wahrnehmen können, da er dort eine private Verpflichtung gehabt habe. Darauf habe der Vorgesetzte erklärt, der Kläger solle Dinge aus dem Lager mit dem Transporter in ein anderes Lager fahren. Dies habe der Kläger abgelehnt, da es ihm gesundheitlich nicht besonders gut gegangen sei. Sein Vorgesetzter habe ihn im scharfen Ton auf seine Minusstunden im Arbeitszeitkonto hingewiesen. Dies habe den Kläger derart verärgert, dass er sich zu der genannten Beleidigung habe hinreißen lassen. Dieses beleidigende Wort sei ihm nur herausgerutscht Der Kläger bedauere dies zutiefst. Es habe sich um ein Vier-Augen-Gespräch gehandelt. Andere Mitarbeiter hätten davon nichts mitbekommen, da in der Halle der Lärm durch die laufenden Maschinen zu groß gewesen sei.

7 Der Kläger beantragt

8 festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentlichen Kündigungen, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.11.2011 und 30.11.2011 beendet wird.

9 Im Obsiegensfalle beantragt der Kläger ferner,

10 die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Hilfsarbeiter weiter zu beschäftigten.

11 Die Beklagte beantragt,

12 die Klage abzuweisen.

13 Die Beklagte behauptet, dass der Kläger sich schon wiederholt in unangemessener Art und Weise und unangemessenem Ton gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten verhalten habe.

14 Der Kläger habe sich geweigert, im Lager oder sonst anderswo zu arbeiten und habe seinem Vorgesetzen am 25. November 2011 entgegnet, dass in der Firma mal vernünftig geplant werden müsse, er sei Papierschneider, er brauche nicht im Lager zu arbeiten. Wenn an seiner Maschine keine Arbeit vorhanden wäre, würde er nunmehr nach Hause gehen. Daraufhin habe sein Vorgesetzter ihn auf die Minusstunden im Arbeitszeitkonto hingewiesen. Als sein Vorgesetzter sich abgewendet habe, um zu gehen, habe der Kläger ihm laut die beleidigende Äußerung hinterher gerufen. Die übrigen Mitarbeiter der Abteilung hätten dies ebenfalls hören können. Daraufhin sei der Vorgesetzte zu dem Kläger zurückgegangen und hab ihn ruhig gefragt, ob er das meine, was er da sage. Daraufhin habe der Kläger ihm bedrohlich und tief in die Augen geschaut und seine beleidigende Äußerung wiederholt.

15 Im Unternehmen herrsche insgesamt kein rauer Ton, sondern normale Umgangsformen, insbesondere auch gegenüber den Vorgesetzten.

16 Danach habe der Kläger eigenmächtig das Betriebsgelände bereits um 09:00 Uhr verlassen.

17 Am darauf folgenden Montag, den 28. November 2012 habe der Kläger – angesprochen auf sein Fehlverhalten von Freitag – erklärt, dass er sich von jungen Schnöseln nichts sagen lasse.

18 Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

19 Die zulässige Klage ist begründet.

20 Die Kündigung ist weder als außerordentliche, noch als ordentliche Kündigung wirksam. Der Kläger kann entsprechend die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verlangen.

I.

21 Den Kündigungen vom 28. November und 30. November 2011 fehlt es jeweils an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.

22 1. Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer den Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09, BAG vom 26.03.2009, 2 AZR 953/07; BAG vom 07.07.2011, 2 AZR 355/10, zitiert jeweils nach juris).

23 2. Die grobe Beleidigung, die der Kläger gegenüber seinem unmittelbaren Vorgesetzten ausgesprochen hat, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.

24 Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder auch von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG vom 24.11.2005, 2 AZR 584/04 BAG, vom 24.06.2004, 2 AZR 63/03; juris).

25 Die Verwendung der Wörter „Du Arschloch“ stellt eine grobe Beleidigung des Vorgesetzten dar. Der Kläger kann sich auch nicht auf das nach dem Grundgesetz geschützte Meinungsäußerungsrecht (Art. 5 GG) berufen. Seine Aussage enthält keine erkennbare Meinungsäußerung, sondern stellt lediglich eine Beleidigung dar. Dies war auch vom Kläger in der Situation beabsichtigt. Die Kammer ist der Auffassung, dass durch die getätigte Äußerung keine überspitze oder polemische Kritik erkannt werden kann. Es ging dem Kläger in der Situation erkennbar darum, seinen Vorgesetzten zu diffamieren und nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache.

26 3. Lediglich in der Abwägung der beiderseitigen Interessen auf der 2. Prüfungsstufe kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass unter Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls eine außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt ist.

27 a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09; BAG vom 07.07.2011, 2 AZR 355/10).

28 Bei dieser Interessenabwägung ist regelmäßig zu berücksichtigen das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragsverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes – der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (so z. B. BAG vom 28.01.2010, 2 AZR 1008/08, juris).

29 Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung eines wichtigen Grundes gem. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt auch nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechtes (BAG vom 07.07.2011, 2 AZR 355/10).

30 b) Bei ihrer Entscheidung hat die Kammer berücksichtigt, dass kein weiteres Fehlverhalten des Klägers dokumentiert bzw. substantiiert vorgetragen worden ist. Die Beklagte hat zwar sowohl schriftsätzlich, als auch in der mündlichen Verhandlung erklärt, es handele sich nicht um einen Einzelfall. Vielmehr sei der Kläger schon häufiger ausfallend und beleidigend aufgefallen. Diese nicht näher konkretisierten Vorfälle konnte die Kammer aber nicht zur Grundlage der Entscheidung machen. Insbesondere hat sich die Beklagte in den über 35 Jahren des Bestehens des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nicht veranlasst gesehen, ihm wegen einer der angeführten pauschalen Vorwürfe abzumahnen.

31 Insofern musste die Kammer bei ihrer Entscheidung davon ausgehen, dass es sich um eine einmalige Verfehlung dieser Art gehandelt hat. Angesichts der erheblichen Betriebszugehörigkeit des Klägers, die zu seinen Gunsten ins Gewicht fällt, war die Kammer der Auffassung, dass das Interesse des Klägers an der Fortbeschäftigung höher zu bewerten war, als das Beendigungsinteresse der Beklagten. Nach den Behauptungen der Beklagten kommt für den Kläger erschwerend hinzu, dass dieser die Beleidigung vorsätzlich zweimal ausgesprochen haben soll und zugleich noch andere Beschäftigte des Betriebes mitgehört hätten. Angesichts der Länge des Arbeitsverhältnisses konnte dieser belastende Umstand allerdings nicht durchgreifen.

II.

32 Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 28.11.2011 in eine ordentliche Kündigung gem. § 140 BGB war aus formellen Gründen nicht möglich. Aus dem gleichen Grunde ist auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 30. November 2011 unwirksam.

33 Der Kläger genießt als ehemaliges Mitglied des Wahlvorstandes gem. § 15 Abs. 3 KSchG nachwirkenden Kündigungsschutz. Nach der Entscheidung des Wahlvorstandes vom 08.09.2011, dass eine Betriebsratswahl nicht stattfinden könne, begann der nachwirkende Kündigungsschutz von 6 Monaten, sodass die Beklagte gehindert war, eine ordentliche Kündigung auszusprechen.

III.

34 Der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers folgt aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Entgegenstehende überwiegende Arbeitgeberinteressen sind vorliegend nicht ersichtlich.

IV.

35 Die Kostenentscheidung folgt aus den § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. §§ 46 Abs. 2 ArbGG.

36 Die Streitwertentscheidung folgt aus dem § 61 ArbGG i. V. m. § 42 Abs. 3 GKG.

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